Von Unterwegs – Mit dem Zug quer durch Vietnam

Ich spüre wie sich eine Hand an meinen Arm klammert. Eins, zwei, drei so jetzt… schnell. Links, Achtung da kommt einer. Jetzt rechts, schnell. Geschafft. Wir haben die Strasse in Hanoi überquert. Vorerst. Dieses Szenario wird sich in den kommenden Tagen, die wir in der Hauptstadt verbringen ständig wiederholen. Wir sind ueberwältigt, gar überfordert von diesem reissenden Verkehrsstrom. Motorräder und Autos, Fahrräder und Menschen alles scheint hier ständig in Bewegung. Ein nicht endender wollender Verkehrsfluss. Der Lärm macht sich überall breit, dringt in die kleinsten Ecken und Kanten bis man ihn einfach runterschluckt und sich an dieses Durcheinander zu gewönnen beginnt.

Wir wollen das Land kennenlernen und das bedeutet: mit dem Verkehrsstrom schwimmen. Wir probieren Fahhrrad, Motorrad, Auto, Bus, Bahn, Schiff und Flugzeug aus. Zur Durchquerung des Landes wollen wir mit dem Wiedervereinigungszug von Norden nach Süden mit Halt in Hué. Insgesamt nur zwei Bahnstrecken gibt es in Vietnam. Wir wählen die 1726 km lange Zugstrecke die sich von Norden nach Süden, quer durch das Land und entlang an Reisfeldern, Wäldern und dem Meer streckt. Die andere Strecke faehrt in den Norden und verbindet die Hauptstadt mit Sapa, ein kleines Staedtchen was in den letzten Jahren zum “Touristencamp” geworden ist.

Es ist bereits spät als wir unser Guesthouse verlassen um den Zug zu besteigen. “Just turn right when you leave our street and then go straight. It’s very easy”, verrät uns die junge Frau unseres Guesthouses. Froh diese Stadt endlich verlassen zu können machen wir uns auf. Das Gewicht unserer Rucksäcke macht unsere Beine schwer und treibt uns den Schweiss ins Gesicht. Wie war das rechts und dann gerade aus? Halb elf noch eine halbe Stunde bis der Zug fährt. Um diese Uhrzeit ist nicht mehr viel los. Nur entfernt nehmen wir Hupgeräusche wahr, an uns vorbei fahren vereinzelt Motorräder. Wir gelangen an eine Kreuzung, wo sich eine kleine Insel befindet. Die Strasse gabelt sich in vier verschiedene Richtungen. “Just go straigth“, fällt es mir ein. Aber von unserer Position aus gesehen, sind die vier Richtungen “straight“. Nervösitität schleicht langsam in unsere Körper. 22Uhr40 und wir wissen nicht wohin. Die selbstgemalte Karte mit verwischter Tinte die uns die Frau noch kurz vor unserem Verlassen in die Hand gedrückt hat verliert ihre Gültigkeit. Sollen wir ein Taxi nehmen? Ein Motorrad? Nach kurzem Nachdenken entscheiden wir uns dagegen. Aus uns bekannten Gründen. Horende Preise, unendliche Diskussionen, Unehrlichkeit und die Zeit drängt.

Wir springen also in die Strasse, es ist 23Uhr45, machen dem uns sich nähernden Motorradfahrer ein Handzeichen, dass er anhalten soll. “Where is the station, Hanoi station?”. Er lacht. Warum lacht er denn nur? “Train station, zuzu?”. Wir machen Zugeräusche und uns laecherlich. Er zuckt nur mit den Schulter und fährt weiter. Auch wir laufen jetzt weiter, einfach nur in eine Richtung. Wir halten noch andere Motorradfahrer an. Einer deutet mit einer Handbewegung wir sollen die Strasse zu Ende laufen, in der wir uns befinden. Hat er uns wirklich verstanden? Aber was bleibt uns übrig? 22Uhr50. Also laufen wir. Die Strassen sind fast leer. Am Ende der Strasse bleiben wir erschöpft stehen. Und was passiert wenn wir den Zug verpassen, schiesst es mir durch den Kopf als Manuela plötzlich mit ihrem Zeigefinger über mich hinwegdeutet. Da!

In grossen Buchtstaben lesen wir: Ga Ha Noi. Wir atmen auf. 22Uhr53, jetzt aber schnell. Beim Betreten des Gebäudes deutet ein Mann in eine Richtung, schleust uns durch den engen Gang, reisst ein Teil unserer Fahrkarten ab, eine andere Frau drängt uns zum Weitergehen. Schnell. Unser Waggon liegt ganz hinten. Wir besteigen den Zug, legen die schweren Rucksäcke ab, sinken verschwitzt aber überglücklich auf unsere Liegen. 23Uhr der Zug fährt ab. Während wir noch dabei sind unsere Sachen zu verstauen, schleicht der Zug durch die Stadt. Die Schienen liegen auf den Strassen wie Kopfsteinplaster, dicht vorbei an den Haustüren der Menschen die entlang dieser Schienen wohnen. Wir können vom unserem Zugfenster aus das in den Häusern treibende Familienleben miterleben, so dicht fahren wir an den Behausungen vorbei. Als der Zug die Stadt verlässt sind wir bereits in unsere Schlafsäcke geschlupft. Das wird eine interessante Nacht, denn der Zug schwenkt stark von rechts nach links, rukelt und hüpft auf den Schienen. Wir werden mächtig durchgerüttel und Manuela fängt an zu lachen. Kurz darauf fallen unsere Augen zu.

Der Morgen begrüsst uns früh. Der Tau liegt dicht auf den Feldern. Kleine bewachsene Hügel ragen hier und da auf den Feldern in die Höhe. Häuser und Hütten tauchen auf, Hühner und Hunde laufen herum, Ochsen ziehen ihre Bahnen auf den Feldern. Wir saugen die Bilder auf die sich uns beim Vorbeiziehen bieten. Nach 13Stunden erreichen wir die Stadt Hue in Zentralvietnam.

Vier Tage spaeter, sitzen wir Morgens um fuenf Uhr wieder auf der Ga Hué, einem kleinen Steinhäuschen mit regem Treiben rundherum. Männer und Frauen richten Strassenrestaurants her, Dampf steigt hier und da auf, der Geruch von Nudelsuppe und Omelett steigt in die Nase. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, aber die Hitze treibt uns in diesen fruehen Morgenstunden bereits die ersten Schweissperlen auf die Stirn. Wir wollen nach Saigon mit dem Zug und bereiten uns in unserem Liegewaggon auf die Fahrt vor. In vietnamesischen Zügen gibt es unterschiedliche Klassen, von Holzklasse bis zum Viererabteil. Wir fragen uns warum wir die Betten brauchen, denn die Fahrt dauert doch nur 13Stunden.

Waehrend wir weiter Richtung Sueden schleichen geht langsam die Sonne auf. Weite tut sich vor unseren Augen auf. Reisfelder die uns ihrem weichen Gruen begruessen. So schleichen wir dahin inmitten der langsam erwachenden Doerfer. Wir fahren vorbei an Palmenhainen, verlassen Bahnhoefen, Menschengruppen auf Motorraeder, Kinder die dem Zug zuwinken, Menschen und Tieren, Hauser und Huetten, Felder und Waelder. Die Farben, die Geruesche aus dem Zugfenster entfuehren uns in eine andere Welt. Wir schliessen die Augen und saugen den Duft auf. Wir oeffnen die Augen und atmen die Weite.

Waehrend der Tag dahin schleicht fahren wir immer weiter Richtung Sueden. Wir geniessen wahrend der Fahrt frisches Obst und suessen Ca Phe Sua. Und waehrend wir dahinfahren geht langsam die Sonne unter. Wir bereiten uns auf den Ausstieg vor, bald sind wir in Ho Chi Ming City. Die Rucksaecke sind gepackt und wir bereit fuer die Ankunft. Doch kein Halt scheint in Sicht. Dem am Eingang haengende Fahrplan schenken wir keine Beachtung, denn wir haben bereits mehrere Stunden Verspaetung. Als um 19Uhr kein Ende zu nahen scheint fragen wir nach. Ein Controlleur bleibt stehen, lauscht geduldig unserer Frage. Er scheint nicht zu verstehen. Wir fragen nochmal: “Ho Chi Minh, when stop?” Er versteht und nimmt ein Stueck Papierfetzen auf den er etwas schreibt, reicht es uns und verabschiedet sich. Wir drehen das Papier um darauf steht: Ho Chi Minh, 21.01.2012 — 9:30. Wir sind aber erst der Zwanzigste!

Also noch eine Nacht im Zug. Unerwartet kommt diese Nachricht. Aber was koennen wir tun. Der schnellste Zug erreicht Ho Chi Minh von Hanoi aus in etwas 28 oder 29Stunden. Wir haben wohl einen Bummelzug in Hue erwischt? Am anderen Morgen erreichen wir gegen halb neun Saigon. Die Stadt brummt und laermt und reisst uns abrupt wieder in die sich vietnamesische Realitaet. Waehrend unserer Fahrt vergassen wir die Hektik und den Laerm, das Chaos und das Hupen, tankten Ruhe tanken und genossen das Land von seiner sanften Weise.

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