C – China

Kulturschock!? Was heisst das? Ist es die Kultur die schockiert? Ist Man(n) von der Kultur schockiert? Doch was ist das Schockierende einer Kultur? “Schock” ist ein Zustand, der einen berührt, einen lähmt, einem Angst macht. Schock ist psychologisch betrachtet ein Erleben, das die seelische Verfassung erschüttert.

Der Kulturschock ist bei Weitem nicht so schlimm wie ein psychologischer oder pathophysiologischer Schockzustand. Gemeinsam ist allen Schockarten das Erschüttern. Der Kulturschock ist wahrhaftig der Schönste aller Schockarten. Er verursacht, dass man sich fremd,  ja verloren, überfordert, orientierungslos und nackt fühlt. Was dann folgt ist noch schöner, will man den Schock überwinden. Man fängt an, was einem Angst macht einfach mit weit aufgerissenen Augen und Ohren entgegen zu gehen. Wenn man in einer Stadt mit rund 20 Mio. Menschen lebt ist das auch notwendig, gar überlebensnotwendig.

China, China, China ist für uns nach diesen eineinhalb Monaten immer noch ein Geheimnis. China ist fast überall auf der ganzen Welt drin oder drauf. Doch all das, soviel steht fest, hat nicht wirklich viel mit China zu tun. Weder das Essen, noch die Menschen. Die chinesische Lebensart so wie wir sie erlebt haben, ist sehr Eigen. Riesig ist das Land, endlos scheinen die Massen die sich morgens, mittags und abends im Menschenstrom hin und her bewegen. Im Bus, im Zug, in der U-Bahn überall wird sich gedrückt, gequetscht. Dabei kitzelt einen die Harrschuppen des Nachbarn in der eigenen Nase, der Menschengeruch setzt sich an den eigenen Kleidern fest. So nah sich die Menschen hier täglich im öffentlichen Leben begegnen, so weit scheint die Entfernung zwischen ihnen. Ruhig bewegen sich diese Massen im Strom weiter, moderne technische Geräte sind die besten Begleiter um sich seinen eigenen Raum zu schaffen. Denn dieser private Raum ist sehr kostbar. Eng schmiegen sich in Peking, Xian, Shanghai, Xianmen und Hong Kong die riesigen Riesenwolkenkratzer aneinander. Alles läuft im Über-, Unter-, Gegen- oder Miteinander. Als kleine Luxmburger kann man sich diese Massen überhaupt nicht vorstellen bis man sie erlebt und selbst lebt. Man taucht unter. Denn als Ausländer wurden wir zwar oft wie wir zu sagen pflegen: angeglotzt. Doch niemals, in keinem Moment fühlten wir uns bedroht. Hilfsbereit und zuvorkommend, nervig und aufdringlich haben wir die Chinesen erlebt.

Dabei gilt eines: will man in China überleben, dann muss man es den Chinesen gleich tun. Also drängeln, quetschen, drücken, spucken und schnell essen.

 

Was bleibt also nach diesem kurzen Aufenthalt? Wir haben eigentlich noch mehr Fragen und Fragezeichen als vorher. Für den Individualmenschen wie wir es sind und uns unsere Kultur (v)erzogen hat, ist am Überraschensten das öffentliche Leben. Warum drängen sich die Menschen in kleinen Wohnungen? Warum sind die Imbissbuden ständig überfüllt? Warum laufen die Menschen immer in einer Reihe obwohl links und rechts genügend Platz ist? Warum laufen die Menschen in Pantoffeln und Pyjamas in den Hutongs mit Zeitungen durch die Strassen? Warum kann ich nicht pinkeln in einer öffentlichen Toilette? Warum ertragen die Menschen diese alltäglich spürbare (politische) Kontrolle? Zu wem gehören die Männer die mit weissen Kopfdeckeln durch die Strassen laufen? Warum funktioniert das Internet schon wieder nicht? Wer und warum brüllt eigentlich ständig jemand im Bus und der U-Bahn rum?

Um dieses Land, die Menschen, das System und überhaupt sovieles zu verstehen muss man lange und länger in diesem Land leben. Vielmehr noch, man muss sich auf dieses Land, was eine uns fremde Kultur trägt, einlassen wollen. In China ist das Leben öffentlich. Öffentlichkeit steht an erster Stelle. Das Gesicht in der Öffentlichkeit zu verlieren ist eines der schlimmsten Dinge, die einem Chinesen passieren können. Dagegen steht die Haltung wahren. Das öffentliche Leben ist gleichtzeitig politisch. Von Familien- bis Verkehrspolitik ist alles geregelt. Die öffentlichen Klos sind dabei nur ein Aspekt: sich in einer öffentlichen Toilette mit einer Zeitung neben seinen Nachbarn (in unserem Fall Nachbarin) zu platzieren. Natürlich ohne Trennwand.

Nicht Chinesen die in China leben haben uns verraten, dass sie besonders den Pragmatismus an den Chinesen schätzen. Pragmatisch? Ja was nicht passend ist, wird passend gemacht. Wer abends in der Rush-hour nicht in die U-Bahn passt, aber doch in der Reihe steht wird einfach reingedrückt. Und schon schliesst sich die Tür und man fährt ab. Eine, zwei ja sogar mehrere Stunden nach der Arbeit im Gedrängel nach Hause.

Wir haben eine Tür zu einer uns total fremden Kultur aufgestossen und konnten kurz durch den Spalt spähen. Gross, schön, reich, arm, menschenvoll, schnell, hektisch, kulturreich, aufstrebend, hartarbeitend, geduldsam und kontrastreich hat sich China uns präsentiert. Wir haben mit den Chinesen in Bejing gelebt, haben neben ihnen gesessen und gegessen, mit ihnen die Nacht im Zugteil verbracht und uns unsere Taxis immer hart erkämpft. Doch haben wir noch immer das Gefühl, als hätten wir dieses Land durchs Glasfenster erlebt. Wir hatten das Glück mit Chinesen und Europäer die in China leben zu reden. Und verstanden, dass es viel Energie braucht um dieses Land und die Kultur zu verstehen. Es steht fest, dass der Kulturreichtum dieses Landes riesig ist. Das Festnageln Chinas in eine Konsumwelt führt zur Verarmung der Tradition und Kultur.

Wir haben uns zwischen grösseren und kleineren Städten bewegt und dabei vor allem das urbane chinesische Leben kennengelernt. Das Land das an unseren Augen auf dem Weg südwärts vorbeizog verbirgt weitere Schätze und Schocks.

 

 

 

Wer China, die  Menschen, das Leben und die Kultur verstehen will, muss chinesisch denken.